Wenn die Häuser Trauer tragen

 

Düsseldorf 2018

Konzept und Spiel: katze und krieg, K.U.R.S.K, plan b,

Quast & Knoblich, Haiko Pfost, Wilma Renfordt, 

Christine Rollar, Hendrik Scheel, Barbara Ungepflegt und die

Benutzerinnen des Wilhelm-Marx-Baus.

Impulse Festival

FFT Düsseldorf

Kunststiftung NRW

 

 

 

           http://www.kunststiftungnrw.de



Eine Koproduktion von FFT Düsseldorf und Impulse Theater Festival, gefördert von der Kunststiftung NRW, dem Fonds Darstellende Künste und Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung

Dank an das Bestattungshaus Frankenheim und das Düsseldorfer Schauspielhaus.



Hendrik Scheel Wenn die Haeuser Trauer tragen  Fortuna

ABSCHIEDSPFADE

Trete aus dem Trauerbüro heraus und wende Dich nach links. Dein Blick fällt auf einen großen Metall-Briefkasten – hier empfangen die Nutzer*innen des Hauses ihre Post. Geh rechts am Briefkasten vorbei durch den Durchgang auf die Straße zu. Wende Dich nach rechts – nach wenigen Metern erreichst Du die Fußgängerampel. Warte, bis sie grün zeigt, und überquere die Straße. Wende dich nach links, dein Blick fällt auf einen großen Schriftzug hinter Glas: „Saks Fifth Avenue OFF 5TH“

Hier wird Metropolenflair verkauft.

Geh auf das Schaufenster zu und positioniere Dich mit dem Rücken an der Ecke des Gebäudes. Dein Rücken berührt Steine, die sich vor 40 Jahren noch ganz woanders befunden haben. Damals wurde das Carsch-Haus – so heißt dieses Gebäude – abgerissen, um Platz für die U-Bahn zu machen, und um 27 Meter versetzt wieder aufgebaut, allerdings nur die Fassade. Das Innenleben des Gebäudes ist komplett neu.

Wende Deinen Blick nach vorn. Lass Deinen Blick über die Dir gegenüberliegende Architektur schweifen. Links von Dir lächelt Dich das Wilhelm-Marx-Haus an. Es wurde 1924 gebaut und beherbergte bis 1957 u. a. die Börse. Mit einer Höhe von 57 Metern war es eines der ersten Hochhäuser in Deutschland und galt als Symbol für Fortschritt und wirtschaftlichen Aufschwung. Seit 1984 steht es unter Denkmalschutz. 1988 wurde es von der Stadt für 58 Millionen D-Mark an eine französische Investmentfirma verkauft: Pierre Premier. Seit 2001 gehört es dem Düsseldorfer Immobilienfonds WestInvest. Ab Einbruch der Dunkelheit erstrahlt auf dem Turm ein roter Schriftzug: Persil. Darüber freut sich eine Nutzerin des Hauses besonders: „Wenn isch dat sehe, weiß isch, isch bin gleisch da.“ Rechts neben dem Wilhelm-Marx-Haus erstreckt sich der Anbau von 1984. Noch ist er ein öffentliches Gebäude. Es gehört der Stadt Düsseldorf. Es steht nicht unter Denkmalschutz. Es steht zum Verkauf.

Vergleiche die beiden Gebäudeteile von 1922 und 1984. Suche die Naht. Die Farbe der Klinker verrät sie. Stelle Dir den Komplex ohne den Anbau von 1984 vor. Letzte Gelegenheit für ein Erinnerungsfoto?

Geh zur Ampel zurück und überquere die Straße. Durchquere nicht den Durchgang mit den beiden Jahreszahlen, sondern wende Dich nach rechts. Zu Deiner Linken liegt ein Schaufenster mit prächtigem Blumenschmuck. Geh zurück zum Ausgangspunkt Deiner Tour, aber diesmal lässt Du das Trauerbüro mit den beiden freundlichen Gastgeber*innen rechts liegen und gehst weiter geradeaus ins zentrale Treppenhaus. Im magentafarbenen Licht begrüßt Dich Fortuna, die Schicksalsgöttin. Im Angesicht seines drohenden Untergangs zelebriert das Haus hier seine Größe.

Schreite die ersten Stufen hinauf und wende Dich – Fortuna zu Füßen – nach rechts. Gehe weiter hinauf ins erste Obergeschoss. Am Ende der Treppe fällt dein Blick auf drei Topfpflanzen (liebevoll gepflegt von einer Nutzerin des Hauses) und eine Litfaßsäule. Dort präsentiert das Eine Welt Forum sein Programm. Du betrachtest die Säule aber nur aus der Entfernung, denn dem Eine Welt Forum wirst Du gleich noch begegnen. Wende Dich nach links, Du betrittst einen langen Flur mit vielen Türen. Geh den Flur entlang bis zur zweiten Tür auf der linken Seite. Es ist eine Doppeltür, das Schild zu ihrer Rechten verrät, was sich dahinter verbirgt: FFT Blackbox – früher ein Kino, heute ein Theatersaal.

Beachte die Beschilderung: Je nachdem trittst Du ein oder wartest, bis die Tür von innen geöffnet wird.

Solidarität – K.U.R.S.K mit dem Eine Welt Forum Düsseldorf

Wende Dich nach rechts und gehe den Flur entlang, vorbei an zwei Büro-Türen (Wer arbeitet hier?) und gehe geradeaus durch die Tür zum Treppenhaus. Hinter der Dir gegenüberliegenden Tür befindet sich einer der wenigen Bereiche des Hauses, die für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sind: Hier können städtische Angestellte, die Probleme am Arbeitsplatz haben, in geschützter Atmosphäre Hilfe finden.

Wende Dich nach links und folge der Treppe nach unten. Draußen hörst Du den Brunnen rauschen. Du gehst an der Tür im Erdgeschoss vorbei, die weder Eingang noch Ausgang ist. Kannst Du alles lesen, was an der Tür steht? Steige tiefer hinab in das Wurzelwerk des Hauses. Das Tageslicht verlässt Dich – keine Angst, Mutter Teresa wacht über Deinen Weg. Gehe weiter durch das Gitter, nur Mut.

Du bist auf der untersten Ebene angelangt. Bleibe am Fuß der Treppe stehen. Vor nicht allzu langer Zeit, am 13. April 2018, stand der Rhein zuletzt in diesem Raum.

Wie weit darf das Wasser beim nächsten Mal steigen? Markiere auf der Wand die Höhe Deiner Nasenspitze. Wärst Du bereit, Dich für die Kleineren zu opfern?

Gehe die Treppe wieder hinauf bis ins 3. OG: Sobald Du auf das Schild mit der Aufschrift „T1 3. OG“ triffst, wendest Du Dich nach links. T1 – dies ist nur eins von vielen Treppenhäusern in diesem Haus. Du stehst jetzt vor einer Tür mit der Überschrift „Vortragssaal“. Hier veranstalten die Auslandsgesellschaften des Internationalen Bildungszentrums DIE BRÜCKE Vorträge und Filmabende. Heute soll es etwas intimer werden, daher wendest Du Dich nach rechts und gehst den Gang weiter entlang, bis zur zweiten Tür auf Deiner linken Seite, dem „Clubraum“. Hier trifft sich zum Beispiel die „Shoppers‘ Break“ jede Woche zu Kaffee und Kuchen – Ladies only! Drücke die Klinke und öffne die Tür.

Begegnung – katze und krieg mit den Auslandsgesellschaften des Internationalen Bildungszentrums DIE BRÜCKE

Wenn die Stimmen verstummt sind, verlässt Du den Raum und wendest Dich nach rechts. Folge dem Gang, lass den Lastenaufzug links liegen (Bühnenbilder sind heute nicht zu transportieren) und folge dem Gang um die Ecke. Du durchquerst nochmals das Treppenhaus und gehst weiter geradeaus – vielleicht findet hinter einer der Türen gerade ein Sprachkurs der Volkshochschule statt. Folge dem Gang, vorbei an den Plakaten, die Dir eine Ahnung von der (vergangenen? noch lebendigen?) Grandezza dieser Landeshauptstadt vermitteln. Der Gang öffnet sich auf ein geräumiges Foyer. Hinter einer der Türen befindet sich das Gleichstellungsbüro. Hier ist eine Stelle frei: Die Position der Diversity-Beauftragten wurde kürzlich ausgeschrieben!

Vielfalt – Quast & Knoblich mit dem Gleichstellungsbüro der Stadt Düsseldorf

FOREVER YOUNG Gehe zum Fahrstuhl und drücke die Aufwärtstaste. Es geht hoch hinaus. Betrete den Fahrstuhl und drücke die Taste „5“. Im 5. OG verlässt Du den Fahrstuhl, geradezu verrät ein Schild, dass Du nun in einer weiteren kommunalen Einrichtung angelangt bist.

Wende Dich nach rechts und steige nach einigen Schritten die Treppe zu Deiner Rechten hinauf bis in den sechsten Stock. Bleibe am Ende der Treppe stehen. Du bist jetzt beim Jugendamt. Wende Dich nach rechts, Dein Blick fällt auf die Tür zu Zimmer 601. Hier arbeitet Herr Omlor – bitte störe ihn nicht.

Herr Omlor arbeitet bei der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder, also z. B. Kinder mit Autismus, ADHS, Depression. Er berät die Familien oder stellt ihnen einen Integrationshelfer an die Seite, der sie im Alltag unterstützt. Dieses Haus ist ein Anker. Hier werden Biographien, Lebensgeschichten, Schicksale geschrieben – nicht nur im 6. Stock. Herr Omlor sagt: „Ich hab ein Top-Büro hier oben, den Ausblick, ich hab die Weitsicht, die für meine Arbeit sehr wichtig ist, und ich sach mal, eigentlich braucht es einen gut dotierten Job, um so ein Büro zu haben mit so einer Traum-Aussicht. Ich bin sehr traurig, wenn wir hier raus müssen.“

Vor Dir liegt ein Fenster, schau hinaus und lasse Deinen Blick über die Silhouette der Stadt Düsseldorf schweifen.

Welches Gebäude aus Deiner Jugend vermisst Du? Welche Bedeutung hat es für Dich gehabt? Welchen Wert hat es verkörpert?

Heute geht es um den Abschied von diesem Gebäude hier – aber vorher kannst Du es an den beiden letzten Stationen Deines Pfades noch besser kennenlernen. Gehe die Treppe hinab ins 4. OG und geradeaus auf die Glastür zu. Öffne die Tür, betrete den Glasgang – zu Deiner Linken siehst Du den Turm des historischen Wilhelm-Marx-Hauses, zu Deiner Rechten die oberen Etagen der Kasernenstraße 1: „Top-Büroflachen“ sind hier provisionsfrei zu vermieten. Geh weiter geradeaus, Du befindest Dich jetzt in der International English Library.

Beständigkeit – plan b mit der International English Library

Verlasse die Library und gehe zurück zum Treppenhaus. Steige die Treppen hinab ins 2. OG, durch das magentafarbene Licht, bis Du zu den braunen Fliesen des Haupttreppenhauses gelangst. Hier empfängt Dich Lady Di.

Nächstenliebe – Barbara Ungepflegt mit den verlorenen Seelen des Hauses

Geh Richtung Fahrstuhl und wende Dich nach rechts. Schreite unter dem Schriftzug „FFT Juta“ hindurch – in diesem Raum werden wir das große Abschiedsfest feiern. Durchquere den Raum, betrete den Flur und gehe die wenigen Schritte bis zur Doppeltür zu Deiner Rechten. Öffne die Tür.

Du befindest Dich im Herzen des Gebäudes. Seit 1984 wird hier Theater gespielt. Heute ist dies ein Ort der Stille. Und in der Zukunft?

Verweile, nimm Platz und spüre dem Haus und der Zeit, die Du hier verbracht hast, nach.

Es ist Zeit zum Abschiednehmen. Welche Werte sind Dir hier begegnet? Welchen dieser Werte wirst Du am meisten vermissen?

Halte ihn schriftlich fest und lasse ihn in der goldenen Kiste zurück. Stift und Papier findest Du ##

Welche Werte wir endgültig verabschieden werden, erfährst Du am 24. Juni beim großen Trauerfest. Du bist herzlich eingeladen!