Olek Witt

Afghanistan Mon Amour


Plan:


AFGHANISTAN MON AMOUR setzt den medialen Bildern von Afghanistan persönliche, poetische und musikalische Annäherungen entgegen. An unterschiedlichen Orten in der Stadt, die bei der gemeinsamen Busreise angesteuert werden, begegnen den Zuschauern Liebeserklärungen, Tänze, Gesänge, Erinnerungen, kritische Auseinandersetzungen und Zukunftsgedanken von afghanisch stämmigen Menschen, die in Berlin leben.
Der Theaterparcours beginnt im Theater Ballhaus Ost und nimmt den Zuschauer in einem Bus mit an verschiedene Orte der Stadt. Einzelne Szenen, Installationen und Begegnungen schaffen ambivalente Realitäten, die Vorurteile und Ansichten hinterfragen. Was ist authentisch und was Illusion? Was Folklore, was Kitsch? Die Realität gerät ins Schwanken, die Konstruktion lauert an der nächsten Ecke. Unser Bild von Afghanistan wird brüchig und bleibt trügerisch. 
Nach Recherchen, Interviews und Gesprächen probte das Team intensiv mit 20 afghanisch stämmigen Menschen im Alter von 10 - 70 Jahren. Diese sind zum Teil seit Jahrzehnten in Berlin, zum Teil erst seit ein paar Wochen. Ihre Blicke auf ihr Leben und ihre Kultur sind sehr unterschiedlich und fragmentarisch: Sie erzählen von Befreiung, Wut, Freude oder Trauer.
Das Theater der Migranten unter der Leitung von Olek Witt setzt mit dieser Inszenierung seine theatralischen Wanderungen, diesmal mit der afghanisch stämmigen Community in Berlin, fort. Erneut arbeitet die Theaterinitiative außerhalb des klassischen Bühnenraums. Der Parcours als Reise an unterschiedliche Orte in der Stadt lenkt den Blick auf soziale Strukturen, auf Unbekanntes und fordert die aktive Begegnung.

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mit SHALA ASLAMI, HALIMA HASHEMI, MAHDIYE HASHEMI, TAHERA HASHEMI, DORRANAI HASSAN, HOSAI HASSAN, SHINKAI HASSAN, HOSSEIN HOSSEINI, SOZAN JOYA, ABBAS KHAN, MARYAM MOSADEQ, SHEKEB MOSADEQ, M. ASEF NAROUZI, HALIMA NAZARY, HOSSEIN NAZARY, SARAH NAZARY, MARIAM NOTTEN, TERESCHKOWA OBAID und FARHAD SOLTANIi.

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Konzept, Regie OLEK WITT Bühne HENDRIK SCHEEL Produktionsleitung KATJA KETTNER / TINE EBEL Licht / Technik VOLKER M. SCHMIDT Regieassistenz PAUL RIEMANNProduktionsassistenz NADIM HUSSAIN Hospitanzen TANJA SALINAS / DAGMAR GAUßPresse JOHANNA RENGER

EINE PRODUKTION VON THEATER DER MIGRANTEN IN KOOPERATION MIT DEM BALLHAUS OST

GEFÖRDERT DURCH DEN FONDS SOZIOKULTUR, DIE RUDOLF AUGSTEIN STIFTUNG UND DEN REGIERENDEN BÜRGERMEISTER VON BERLIN – SENATSKANZLEI – KULTURELLE ANGELEGENHEITEN

 


Reise:


Berliner Zeitung 14.12.2012

„AFGHANISTAN MON AMOUR“

 Ein kleines Feuer in der dunklen Kälte

 von Doris Meierhenrich

„Afghanistan mon amour“: ein Theaterparcours durch Berlin

Ein Jahr und fünf Monate hat er für den Weg von Afghanistan nach Deutschland gebraucht. Ein Jahr und fünf Monate ohne Papiere, immer in Angst vor Polizei, übernachten im Wald, weiterkommen zu Fuß, bei Glück in einem Bus. Ein Marsch durch sieben oder acht Länder, genau weiß er es nicht mehr: in Griechenland saß er im Gefängnis, dann Serbien, Bulgarien. Nun hockt Hussein am Feuer in der eiskalten Nacht zwischen den Betonplattenbauten von Berlin Mitte und erzählt in gebrochenem Deutsch die Geschichte seiner Flucht. Nicht alles versteht man, aber das klare, kalte Unrecht, das er von Kindheit an erfahren hat, die Ungeheuerlichkeiten seiner Odyssee erfasst man genau. „Die Welt ist groß“, sagt er, „aber nicht groß genug für meine Sorgen“. Und er beginnt zu singen, eine couragierte Melodie.

Mut braucht auch der Zuschauer in der eisigen Dunkelheit, die stärker ist als man selbst. Nebenan hört man lachende Leute passieren, gekettet an Husseins Schicksal aber und an das seiner zwei Kumpanen, die dann auch ihre Fluchtgeschichten erzählen, bleiben wir an dem kleinen Feuer und treten eine viertel Stunde lang ein in die Gemeinschaft der wehrlosen Ausgestoßenen.

Es ist die dichteste Szene des Abends, der eigentlich eine bunte Theaterbusfahrt ist vom Ballhaus Ost über einen afghanischen Imbiss und eine Schneiderei bis zur Kunsthalle „Desi“ in Kreuzberg. Ein meist folkloristischer Parcours, mit dem der Regisseur Olek Witt und sein „Theater der Migranten“ Afghanistan in Berlin sichtbar machen will. Gleich das größte Vorbild einer solchen Wirklichkeitssuche zwischen Dokumentation und Illusion hat er sich dabei in den Titel geschrieben: „Afghanistan mon amour“ ruft Alain Resnais und Marguerite Duras’ Filmklassiker „Hiroshima mon amour“ auf den Plan: die komplexe Verschränkung zweier ferner Städte im Krieg (das französische Nevers und Hiroshima), die das Paradox des Erinnernwollens und Vergessenmüssens in allegorischer Gestalt zweier Liebender durchspielt.

An dieser Vorlage leidet das Afghanistan-Projekt am meisten. Mit einem Dutzend Biografiefragmenten, die die Beteiligten zwischen 12 und 66 Jahren hier aufbieten, bleibt es doch oberflächlich, zuweilen rührselig. Das liegt nicht an Lebensgeschichten selber. Aber keine dieser Geschichten kommt zu dem Punkt, wo subjektives Empfinden und objektive Gedächtnisinteressen einander sinnfällig durchkreuzten. So werden bloße Optiken angerissen: der Touristenblick. Bis zu dem kurzen Moment draußen am Feuer, wo widerstreitende Kräfte plötzlich spürbar werden: der unbändige Antrieb eines angefeindeten Menschen, der ein abstraktes Glücksbild in etwas unangreifbar Persönliches schmiedet und damit, momentweise, überlebt.