Löffel abgeben


Ausgangslage:



Löffel abgeben

Performance auf dem Friedhof im Lilienkultugarten

mit Jugendlichen aus Stargard/Polen und Berlin/Neukölln: Dawid Augustyn, Diana Augustyn, Charnjeet Aulakh, Gabriela Cichorczyk,Jagoda Cwirta, Medine Elci, Michalina Jakubik, Weronika Jaroszek,Cigdem Kilinc,Onur Kilinc,Michelle Lepak,Joanna Mizgier,Irmina Maria Pisarek,Kinga Rzepecka,Nikolai Scheel,Erdem Secmen,Weonika Sek,Greta Wrobel und Ursula Wolschendorf und

Osman Cidem

 

Regie:            Olek Witt,

Choreografie:     Citali Huezo Sanchez

Theaterpädagogik: Lidia Cangiano

Bühne :           Hendrik Scheel

Kostüme:          Kerstin Junge

Musik :           Günter Schickert

Licht :           Milos Vukjovic

Dokumentation:    Anna Mbiya Katshunga

Produktion :      Lucyna Jachymiak Krolikowska


Bilder:


73 Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges setzen sich jungen Menschen aus Polen und Berlin in einer ungewöhnlichen Performance mit der „Feierhalle“, einem Bauwerk aus der Nazi-Zeit, auseinander und beginnen, diesen Raum zu verwandeln.

Im Mittelpunkt der Performance „Löffel abgeben“ steht der Friedhof, als Ort kultureller Erinnerungen und Gebräuche. Der Titel verweist einerseits auf ein uraltes Ritual, das in vielen Kulturkreisen gebräuchlich war und andererseits auf eine heutige Redewendung, die daraus entstanden ist: Zur Geburt wurde ein Löffel geschenkt, der dann als einziger Löffel benutzt wurde und beim Tod abgegeben oder weitergegeben wurde.

Die Aufführungen finden in und um die ehemalige Feierhalle des Friedhofes Lilienthalstraße in Neukölln-Nord statt, wo in Zukunft ein Kulturzentrum entstehen soll. Theater versteht sich hier als Ritual, das ehemalige Bestattungsgelände in einen Ort lebendiger Stadtkultur umzuwandeln. Die jungen KünstlerInnen wirken an der Umwandlung partizipatorisch mit, können sich in ihrem Stadtteil Neukölln neu verorten und ihre Ideen mit einbringen.

„Löffel abgeben“ ist ein deutsch-polnisches Theaterprojekt des Vereins NIKE Polnische Unternehmerschaft mit dem Theater der Migranten, in Kooperation mit der Neuköllner Schule Sankt Marien sowie dem Jugendkulturhaus aus dem polnischen Stargard und wird vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie dem Deutsch- Polnischen Jugendwerk und dem Kulturamt Neukölln gefördert.

Jugendliche Schauspieler aus Berlin-Neukölln und aus Polen beschäftigen sich mit dem Thema „Vergänglichkeit und Wandel“. Das berührt sowohl ihre eigenen kulturellen Erfahrungen und Vorstellungen, ihre weltanschaulichen Ansichten und Rituale zum Thema Tod als auch ihre Einstellung zum Leben.

Kulturelle Vielfalt und Rituale der Jugendlichen werden im interreligiösen Dialog beleuchtet und für das eigene Leben hinterfragt. Nach drei Wochen intensiver Proben, entsteht eine ungewöhnliche Performance, in der sich die jungen Menschen mit der „Feierhalle“, einem Bauwerk aus der Nazi-Zeit, auseinandersetzen. Die teilnehmenden Jugendlichen werden dabei selbst zu AutorenInnen, da sie ihre Gedanken und Gefühle mit einbringen und unter einer professionellen Leitung in szenischen Bildern umsetzen. Auch das Projektteam, das von dem polnischstämmigen Regisseur Olek Witt, geleitet wird, ist mit Künstlern mit multikulturellen Hintergrund besetzt.

 



Außerhalb der bisherigen Entwicklung steht ein Bau, welcher ganz und gar die offizielle Richtung seiner Zeit vertritt, die Feierhalle auf dem Militär-Standortfriedhof Lilienthalstraße, an der Westgrenze des Verwaltungsbezirks Neukölln (Abb. 108, 109). Man denkt sofort an Wilhelm Kreis. Aber nicht er war der Urheber des 1941 geweihten Gebäudes, sondern Wilhelm Büning; diesen Architekten kennt man als Schöpfer gut gestalteter Villen des Kaiserreiches und vor allem als einen der drei Erbauer der berühmten Weißen Stadt in Reinickendorf (1929-1931). Was die Feierhalle betrifft, bewegte er sich ganz in den Bahnen des von den führenden Bauleuten des Tausendjährigen Reiches propagierten Stiles. Man suchte damals den Anschluss an die Frühromantik, also an die Kunst des Kreises um Friedrich Gilly und Heinrich Gentz. Das war im 20. Jahrhundert nichts grundsätzlich Neues; 1908 hatte Paul Mebes sein berühmtes Buch „Um 1800“ veröffentlicht und damit der modernen Baukunst den Weg gewiesen (vgl. BusB IV A 1970, S.88). Aber - abgesehen davon, dass diese Entwicklungsphase längst vorbei war und abgesehen davon, dass Mebes alles andere als einem Historizismus das Wort geredet hatte – jetzt in der Zeit des Generalbauinspektors Speer wurde das den Baumeistern des Gilly-Kreises eigene feine Maß missachtet und die an sich höchst edle Form in einen Gigantomanismus hineingetrieben; sie sollte nur noch als „humanistisches Alibi“ dienen, wie es Hans Sedlmayr genannt hat. Wenn die Feierhalle des Standortfriedhofes von diesen Entartungserscheinungen frei geblieben ist, so liegt das eben daran, dass hier das Maß gewahrt ist. Büning war ein guter Gestalter, er brachte auch dann noch Schönes zu Stande, als er sich hier zweifellos den Forderungen des damaligen „Generalbauinspektors für die Reichshauptstadt“ zu fügen hatte. Für jeden, der sich dem Bauwerk unvoreingenommen nähert, zeigt es sich tatsächlich als das, was die damalige Theorie grundsätzlich forderte und die Praxis in der Regel nicht erreichte, nämlich als würdevolles, seiner Aufgabe angemessenes Gebilde. Die architektonische Idee ist folgende: durch ein wuchtiges, dennoch feingliedriges Tor soll der Trauerzug den Bereich der Welt und des Lebens verlassen, über wenige Stufen aufwärts steigen zu der aus Quadern errichteten, monumental aufgefassten Feierhalle, dem Tempel des Vaterlandes; dessen Inneres wird von oben belichtet, ist damit von dem umgebenden Alltag abgeschlossen, empfängt sein Licht aus höheren Regionen, öffnet sich gleichsam zum Geistesreich. Die Gesamtanlage ist streng symmetrisch geordnet. Das Blockhafte der Außenarchitektur wie auch das unübertreffbar einfache (aber nicht Nüchterne) des Innenraumes stimmen sowohl zu den baukünstlerischen Ansichten der Frühromantik als sie auch an die vorangegangene Phase in Bünings Schaffen anknüpfen, wenn auch unter erheblich geänderten Bedingungen. Ein sogenannter Nazibau, der eigentlich keiner ist, oder, wenn man will, der einzige künstlerisch nicht misslungene.